Noch nie zuvor in der Geschichte der Zentralbanken wurde der Leitzins so lange auf einem so niedrigen Niveau gehalten. Dieses historische Tief hat vielfältige Auswirkungen auf die Wirtschaftslage von Staaten, Banken, Unternehmen und Privatpersonen. In diesem Artikel zeigen wir Ihnen in aller Kürze, was die Niedrigzinsen für Immobilienbesitzer und Privatanleger auf dem Immobilienmarkt bedeuten.
Die Höhe der Leitzinsen beeinflusst ganz allgemein das Preisniveau in einer Volkswirtschaft. Niedrige Zinsen führen zu einem steigenden Preisniveau (Inflation), während höhere Zinsen das Preisniveau stabilisieren oder sogar senken können (Deflation). Wichtig zu Unterscheiden sind hier die Verbraucherpreisinflation, welche auf einem Warenkorb und Dienstleistungen basiert (Verbraucherpreisindex) und die Vermögenspreisinflation, welche sich auf den Preisanstieg von Aktien, Anleihen, Rohstoffe oder Immobilien bezieht.
Erklärtes Ziel der Geldpolitik in modernen Nationalökonomien ist die Verbraucherpreisinflation stabil bei ungefähr zwei Prozent pro Jahr zu halten, da bei dieser Marke der Anreiz für Investitionen hoch ist, ohne das Preisniveau zu drastisch steigen zu lassen (Preisstabilität). Allerdings wurde dieses Ziel in der EU in den letzten Jahren trotz der anhaltenden extremen Niedrigzinsen nicht erreicht.
In der aktuell angespannten Wirtschaftslage, welche durch Unsicherheiten wie Handelskriege und technologischen Wandel geprägt ist, fließt viel Kapital in nicht-produzierende Vermögenswerte wie Aktien oder Immobilien. Die expansive Geldpolitik der EU war Teil dieser Entwicklung, da Unternehmen auf der Suche nach Renditemöglichkeiten wenige Alternativen sahen. In Folge sind die Vermögenswertpreise bei Immobilien und Aktien viel stärker gestiegen als die Verbraucherpreise. Investitionen in Immobilien werden außerdem von vielen Investoren als vermeintlich sicher gesehen, speziell in guten Lagen größerer Städte.
Verstärkt wird die Nachfrage nach Immobilien auch durch den Trend der anhaltenden Urbanisierung, also dem starken Zuzug in die Städte. Zuletzt ist auch die Nachfrage von Immobilien unter Verbrauchern gestiegen, da die niedrigen Zinsen die Finanzierung für eine immer größere Gruppe leistbar machen. Die niedrigeren Kreditzinsen waren somit einer der Haupttreiber des anhaltenden Immobilienbooms.
Die Zins-Margen, die Banken früher durch die Vergabe von Krediten an Privatkunden erwirtschaften konnten, sind durch die extrem günstige Möglichkeit zur Finanzierung stark gesunken. Viele Banken haben gerade deshalb in den letzten Jahren ihr Gebührenmodell angepasst und setzen nun auf Einnahmen aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel der Kontoführung. Privatanlegern mit hohen Einlagesummen auf Tagesgeldkonten werden mittlerweile oft Negativzinsen verrechnet, was früher undenkbar gewesen wäre (Negativzinsen in Deutschland). Die Devise lautet heute: Investieren statt Sparen!
Niedrige Zinsen wirken sich auf einzelne Wirtschaftsbereiche und die Preisentwicklung unterschiedlicher Güter in jeweils ganz eigener Art und Weise aus. Hier ein grober Überblick über die Profiteure und die Benachteiligten des historischen Zinstiefs.
Wer profitiert?
Staaten: Nie war es für Staaten so einfach und günstig neue Kredite aufzunehmen und alte Schulden durch neue abzulösen. Staaten können also extrem günstig neue Investitionen tätigen und leichter bestehende Schulden abbauen.
Unternehmen: Ebenso wie Staaten können auch Unternehmen durch die günstigen Kredite leichter in Personal, Forschung oder neue Technologien investieren. Je nach Branche ist für manche Unternehmen jedoch auch der Wettbewerb stärker geworden, weshalb nicht alle Unternehmen gleichermaßen vom Zinstief profitieren.
Aktienmärkte: Aufgrund der geringen Renditemöglichkeiten bei festverzinsten Anlagemöglichkeiten wie Staats- und Unternehmensanleihen fließt das Geld von Investoren in großem Maße in die Aktienmärkte, welche von einer Rally zur nächsten jagen.
Immobilienbesitzer: Nicht nur die Nachfrage am Aktienmarkt ist enorm gestiegen, sondern auch auf dem Immobilienmarkt herrscht ein regelrechter Boom. Tatsächlich sind die Immobilienpreise seit der letzten Finanzkrise in guten Lagen stetig gestiegen, was Immobilien als Geldanlage attraktiv erscheinen lässt, jedoch auch die Gefahr einer Überhitzung stark ansteigen lässt.
Wem schaden die Niedrigzinsen?
Banken: Das klassische Kreditgeschäft wird zunehmend unattraktiv, weil durch den niedrigen Leitzins die Zinsmarge extrem gering ausfällt. Viele Banken sind deshalb mehr und mehr auf Gebühren angewiesen.
Mieter: Immer mehr renditegetriebene Investoren drängen auf den Immobilienmarkt, weil Staatsanleihen und ähnliche Anlageformen kaum noch Renditen abwerfen. Um die Renditeerwartungen zu erfüllen werden oft die Mieten angehoben, was jedoch zunehmend auf regulatorischen Gegenwind stößt.
Junge Immobilienkäufer: Einerseits sind Kredite zwar günstig wie nie – andererseits führen die hohen Immobilienpreise zu großen Eigenkapital-Aufwendungen von Käufern bei der Immobilienfinanzierung (Banken fordern meist 10-20 Prozent Eigenkapital). Ohne größere finanzielle Rücklagen ist es also kaum noch möglich, eine eigene Immobilie zu finanzieren. Jedoch können Eltern mit Immobilienbesitz hier als Kapitalgeber Ihren Kindern aushelfen (Kindern zum Immobilienbesitz helfen).
Die Leitzinsen festzulegen, liegt allein in den Händen der Zentralbanken, also der EZB in Europa und der Fed in den USA. Die Entwicklung in Europa geht hier jedoch in eine konträre Entwicklung zu den USA, welche in den letzten Jahren den Zins bereits mehrmals angehoben haben (Fed hebt Zinsen an). Die EZB hingegen plant keine nennenswerte Erhöhung der Leitzinsen in absehbarer Zeit, da das erklärte Inflationsziel von zwei Prozent noch immer nicht erreicht wurde.
Auch Experten können sich nicht einigen, ob die dauerhaften Niedrigzinsen wirklich das richtige Mittel sind. Kritiker warnen vor einer ungesunden Überhitzung bestimmter Märkte, wie etwa dem Aktien- und Immobilienmarkt. Die Folge könnte ein anschließend extrem rasanter Preisverfall auf genau diesen Märkten sein. Andererseits ist es unklar, was eine Anhebung der Leitzinsen für den Rest der Wirtschaft bedeuten würde. Die Prognosen für diesen Fall gehen von einer Wirtschaftsschrumpfung bis hin zu einer neuen globalen Wirtschaftskrise aus.
Daher ist es also unklar, ob und wann die Zinsen in Europa wieder steigen und sich auf einem höheren Niveau stabilisieren werden. Experten gehen davon aus, dass die Leitzinsen lange Zeit nicht wieder auf das Niveau vor der letzten Finanzkrise steigen werden (Zinsen bleiben niedrig).